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#42 Ich habe mal einen kleinen Bericht zusammengeschrieben, der wie ich finde sehr gut meine Gedanken während der Fahrt widerspiegeln.
Erlebnisbericht Iron Butt
Seit ich das erste Mal in einer Motorradzeitschrift vom Iron Butt gelesen habe, ließ mich der Gedanke daran nicht mehr los. Irgendwann werde ich so etwas auch mal machen. Ok, wann ist irgendwann, wie lange will man seine Träume noch nach hinten schieben? Irgendwann ist ein Wort, das man so oft hört und meistens bleibt es dann dabei.
Es hat dann doch noch fast 3 Jahre gedauert, bis mein Traum wirklich wahr wurde. Am Anfang fehlte das passende Motorrad, dann starb überraschend meine Mutter und ich hatte andere Dinge im Kopf. Am Anfang des Jahres 2013, als Besitzer einer Honda Crosstourer als perfektes Langstreckenmotorrad, dachte ich mir, jetzt mach ich das.
Doch der nächste Schicksalsschlag ließ nicht sehr lange auf sich warten: Ziemlich genau ein Jahr nach meiner Mutter ist mein Vater plötzlich und völlig unerwartet gestorben. Der Tag, an dem ich eigentlich den Ride geplant hatte, war ich auf seiner Beerdigung.
Solche Ereignisse im Leben verändern einen und ich machte mir mehr und mehr Gedanken. Was hat man erreicht? Was hätte man anders machen können? Was wäre wenn? Was wollte ich unbedingt irgendwann mal machen? Genau, irgendwann wollte ich den Iron Butt machen!
Die Idee nahm Formen an, spätestens als ich in unserem Urlaub 1000 km am Stück mit dem Mietwagen durch die USA gefahren bin. Das muss doch gehen, ich will das jetzt machen. All denjenigen, denen ich es erzählte, meinten nur "du bist verrückt". Aber genau dazu stehe ich, also egal was alle sagen, draufsitzen und los.
Der erste Arbeitstag nach dem Urlaub zeigte mir dann auch gleich:“Willkommen zurück im wirklichen Leben“! Aber zum Glück hatte ich dann gleich mal Montag und Dienstag in der darauffolgenden Woche frei.
Das Wetter sollte montags leicht bewölkt sein und Dienstag richtig gut. Ok, dachte ich, ich glaube das ist Deine letzte Chance, diesen Ride 2013 noch zu machen. Geplant war die Route ja schon lange am Computer, auch sonst lag quasi alles bereit. Nur noch mal das Navi mit der Route anschauen und los. Ja denkste, das Navi zeigte alles an, bloß nicht die Karte von Deutschland, geschweige denn die Route. Da muss es doch tatsächlich etwas verhaspelt haben, als ich die USA-Karte für den Urlaub hochgeladen habe.
Die Zeit raste dahin und mein Puls raste so langsam auch. Es half alles nichts, kein Forum, keine Hotline ( in der ich geschlagene 10 Minuten gehangen bin ) und kein Fluchen. Dieses kleine Mistding wollte die Karte nicht hochladen. Ich hatte so einen Hass auf das Navi und sehnte mich zurück, als man noch die gute alte Karte im Tankrucksack hatte. Sollte jetzt wirklich die ganze Tour ins Wasser fallen wegen so etwas? Ich wusste nicht, ob ich schreien, den Hammer nehmen oder heulen sollte. Nach geschlagenen 5 Stunden hatte ich die Faxen dicke und bin ins nächste Fachgeschäft gefahren, um mir ein anderes Navi zu kaufen. Eigentlich absoluter Blödsinn, da mein jetziges Navi noch nicht einmal ein Jahr alt war. Ich hatte aber so einen Hass, dass es mir in diesem Moment völlig egal war. Nächste Ernüchterung durch den Mitarbeiter des Fachgeschäfts: „Ein Motorradnavi haben wir momentan nicht da“. Grrrrr. Jetzt war es schon Nachmittag und ich sah die Tour wirklich ins Wasser fallen. Macht es jetzt denn noch Sinn so spät am Tag loszufahren und zudem noch mit einem gefühlten Ruhepuls von knapp 200. Hin- und hergerissen in einem Wechselbad der Gefühle kam ich wieder zu Hause an und sagte mir ich probier jetzt noch einmal die Karte hochzuladen, dann gebe ich endgültig auf.
Hmm, zumindest zeigte es jetzt am PC eine Option an, die ich vorher noch nicht hatte. Wie, die neue Karte wird geladen, es wird doch nicht? Doch, die Route wurde tatsächlich angezeigt. Als ich dann auf die Uhr sah und es inzwischen schon nach 18 Uhr war, beschloss ich, dass es heute keinen Sinn mehr machte, zu starten, und ich redete mir ein, morgen wird das Wetter ohnehin viel besser.Den Tankrucksack und das Topcase mit Getränken und Müsli-Riegeln beladen, den Tourenanzug bereitgelegt, legte ich mich erschöpft vom „Navi-Stress „ um 21 Uhr ins Bett. Es dauerte etwas bis ich eingeschlafen bin, da sich meine Gedanken noch immer hin und her bewegten und mir viele Fragen durch den Kopf gingen.
Um 3 Uhr klingelte dann der Wecker, den ich mir vorsichtshalber gestellt hatte und voller Vorfreude stand ich auf. Sollte heute wirklich der Tag der Tage werden, sollte ich heute tatsächlich den Iron Butt fahren? Nach einem kurzen online Wettercheck in Berlin, Hamburg und Dortmund war klar: Jetzt oder nie! Überall wurde nur leichte Bewölkung und Sonne mit bis zu 20°C angezeigt. Nun aber hurtig das Motorrad aus der Garage geholt und alles verstaut. Neben der Dokumentation, die zum Zertifizieren der Tour durch die Iron Butt Association Germany benötigt wird, dachte ich mir, die Tour zusätzlich mit der Runtastic App aufzuzeichnen. Dies hat auch den Vorteil, dass andere Leute live meine Tour beobachten können und mir sogar Applaus unterwegs aufs Handy schicken können. Also schnell noch den Link ins Facebook und ins Crosstourer Forum stellen und dann aber los.
Die ersten 3,5 Kilometer bis zum Startpunkt, einer Tankstelle im Nachbarort, kreisten meine Gedanken. Hast du alles, was musst du unterwegs noch beachten, was muss eigentlich alles auf den Tankrechnungen stehen?
Erste Hürde, ich brauche einen Zeugen am Start - würde der Tankwart mitspielen?
Ja würde er. Ich erklärte ihm, was ich vorhabe und er hat unterschrieben. Er meinte noch „ich habe Nachtschicht und bin ab 22 Uhr heute Abend wieder da“. „Ok, das müsste passen, ich bin spätestens morgen um 4:25 Uhr auch wieder da.“ Jetzt aber keine Zeit verlieren und ab auf die Autobahn.Die Straßen sind noch richtig leer. Der Blick auf den Tacho, die ersten 30 km sind geschafft. Und wenn man so alleine auf der Autobahn unterwegs ist, kommen die Gedanken wieder zurück. Hat man an alles gedacht? Was ist, wenn man es nicht schafft, was sagt man dann bei Facebook und im Forum? Hätte ich vielleicht das ganze doch heimlich machen sollen? Ach Quatsch, wenn es schief geht, dann hat man es eben versucht und muss dazu stehen. Mann oh Mann, hat man sich eigentlich früher auch so viele Gedanken gemacht? Wohl kaum, da hieß es draufsitzen und schauen was kommt. Na gut, denke ich, das werde ich dann jetzt auch machen und einfach an nichts mehr denken. Leider war dieser Vorsatz am Weinsberger Dreieck dann schon wieder beim Teufel, als mir die Stimme aus meinem Navi leise ins Ohr flüsterte "bitte rechts halten". Wie, was, das kann nicht sein, die Tour hatte ich Richtung Würzburg geplant. Um Nürnberg ist immer Chaos und das wollte ich doch umgehen. Sollte das Navi schon jetzt nach knapp 40 Kilometer den Geist aufgeben? Sofort wieder sämtliche Alarmglocken: Wenn das Gerät jetzt aussteigt, dann hab ich nicht mal nichts in der Rückhand. Ich werde irgendwo in Deutschland umherirren und keiner wird mich jemals wieder finden. Was tun, rechts ran und noch mal schauen? Macht ja eigentlich auch keinen Sinn und kostet nur Zeit, die ich nicht habe. Es zeigt ja momentan noch was an, also erst mal weiter und schauen, wie sich’s entwickelt. Machen kann ich jetzt ohnehin nichts mehr.
Ich bin immer noch relativ alleine auf der Piste und überlege mir, dass ich so gegen 6:15 Uhr in Nürnberg vorbeikomme. Genau dann, wenn der Berufsverkehr einsetzt, was ich eigentlich vermeiden wollte. Zu meiner Überraschung liess ich Nürnberg links liegen und bog ab Richtung Berlin. Wo waren die Autos, komisch sonst ist hier immer Stau. Ein kurzer Blick auf die Armaturen, ok ich sollte jetzt bald mal tanken, auch um einen Beweis zu haben, dass ich wirklich über Nürnberg gefahren bin. Rastplatz Fränkische Schweiz Ost, dass sieht gut aus, also raus und einmal volltanken. Wie der Liter für 1,669 € gestern hab ich an einer Tanke noch 1,48 € gesehen. Nützt ja aber alles nichts und weiter gehts.
Die Zeit vergeht wie im Flug und langsam fängt es an zu dämmern. Deutschland erwacht, aber die Schar der Autos bleibt aus. Noch kein Stau und die Honda surrt wie ein Uhrwerk. War es richtig, dass ich mir eine neue Sitzbank gekauft habe, weil die Originale so gar nicht ging? Wie lange wird es dauern, bis ich auf der auch nicht mehr sitzen kann? Fragen über Fragen, und es wird schon langsam wieder Zeit zu tanken. „Köckern", noch nie im Leben davon gehört, aber ok es gibt Benzin und das ist das wichtigste. Ein kurzer Blick auf das Handy, was ist denn jetzt schon wieder? Nur noch 20% Akkuleistung obwohl es an der Steckdose angeschlossen war. Tatsächlich, der USB Adapter lädt nicht mehr. Ich dreh durch, haben sich jetzt die elektrischen Geräte gegen mich verschworen? Entwickeln sie jetzt ein Eigenleben? Kommen jetzt die Terminator? Ruhig bleiben sage ich mir, an der Tanke gibt es sicher auch entsprechende Ladekabel. Jawohl, es gibt sie und sogar ein spezielles für mein Telefon. Aber schon beim Einstecken wird gemeckert und ermahnt "dies ist kein originales Ladegerät, es kann sein, dass es nicht richtig funktioniert“. Aber es lädt, mehr brauch ich nicht.
Inzwischen ist es Tag geworden und ich passiere die Grenze zu Mecklenburg Vorpommern. Soll ich vielleicht gleich hier tanken? Ach nö sind ja noch drei Striche auf der Anzeige, das passt bis zur nächsten Raststätte. Denkste, das ganze erinnert mich hier irgendwie an Montana in den USA, das besteht auch nur aus Gegend. Puh, jetzt könnte mal langsam eine Tanke kommen, da nur noch zwei Striche. Wenn nur noch ein Strich da ist, dann geht es an die Reserve und das sind dann maximal 60 Kilometer. Warum hab ich eigentlich nicht vorhin getankt. Klick - die Restkilometer der Tankanzeige werden angezeigt. Noch 60 Kilometer, noch 59, noch 58....Von der Autobahn abfahren oder hoffen? Ah, da vorne kommt ein Schild, das wie ein Hinweisschild für eine Raststätte aussieht. Uff tatsächlich, jetzt aber nichts wie raus und vollgetankt. Wo bin ich hier? Aha „Stolpe“, zumindest hatte ich schon mal was davon gehört. Nach kurzer Rast ging es weiter und unterwegs noch mal ein kurzer Blick auf das Handy. Sollte ja schön live die Tour mitschreiben und das zog doch schon ganz schön am Akku. Bis jetzt lädt es noch.
Ich fahre an Hamburg vorbei. Noch immer kein Stau und ich kann ganz relaxt mit 120 - 130 km/h über die Bahn gleiten. Eigentlich ist alles perfekt, das Wetter spielt mit, kein Stau, keine Probleme am Motorrad, alles gut. Ich bin selbst überrascht, wie weit ich schon gekommen bin. Normalerweise denkt man immer „Wow, so lange von Stuttgart nach Berlin, was für eine Tortour“ und nun bin ich schon an Hamburg vorbei. Ich muss gähnen, oh mein Gott jetzt werde ich müde und muss anhalten. Nein nicht wirklich, ich fühle mich richtig gut und habe ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Wo wohl die andern Autos alle hin fahren, sind sie auf dem Weg von oder zur Arbeit, fahren sie in den Urlaub? Wenn die wüssten, was ich hier gerade mache, was würden die denken überlege ich. Sollte ich beim nächster Gelegenheit mal kurz raus fahren und was Essen, Hunger habe ich eigentlich keinen. Aber ok, mal kurz die Füße vertreten und einen Schokoriegel kaufen. Seevetal, hört sich interessant an, ein kleiner Rastplatz und was zu essen, aber keine Tankstelle dabei. Macht es Sinn, wenn ich die Rechnung vom Schokoriegel aufhebe - ja ich denke schon. Am Parkplatz steht ein Paar neben mir und wir kommen ins Gespräch. "Wo gehts denn noch hin"? „Nach Stuttgart“, „ok und wo kommen sie her?“ „Aus Stuttgart“. „Ja schon aber wo kommen sie her?“ „Na aus Stuttgart, ich mach eine Rundreise durch Deutschland.“ „Ach so, na dann. Also mir reicht es schon nach 100 Kilometer“ meinte der Autofahrer.
Ein Blick auf die Uhr, wenn es so weiter läuft bin ich zum Abendessen wieder zu Hause, aber lieber kein Risiko eingehen und weiter gehts. Wieder in den fließenden Verkehr eingereiht, der immer noch aus wenigen Autos besteht überlege ich, ob ich nicht schneller fahren soll? Sollte wirklich ein Stau kommen, dann hätte ich Vorsprung. Das Tempo also etwas angezogen auf ca. 150 km/h, aber na das macht ja gar keinen Sinn. Lauter, mehr Vibrationen, man muss höllisch aufpassen und man braucht mehr Sprit. Letzten Satz wieder streichen, ich glaube das Geheimnis liegt vielmehr am gleichmäßigen Fahren. Je effektiver man unterwegs ist, desto weiter kommt man. Also das ganze wieder runter auf 125 km/h und ja jetzt macht es wieder richtig Spaß. Die Temperaturen sind inzwischen auf 24°C gestiegen und stellenweise sind es sogar 25°C. Spätestens nach dem Blick auf das Thermometer ist mir jetzt auch richtig warm. War ich doch etwas zu warm angezogen? Zur Erinnerung ich dachte mir es gibt nichts Schlimmeres, wenn die Kälte durch den Anzug kriecht und habe vor dem Start den Tourenanzug komplett auf „Winterbetrieb“ umgestellt: gestepptes Innenfutter, Regenmembran, winddichte Sturmhaube und Hot Fingers Winterhandschuhe. Puh, definitiv heute zu warm. Na ja zum Glück hab ich ja das Topcase dabei und meine Sommerhandschuhe. Also alles „Überflüssige“ weg und verstaut. Jetzt ist es schon viel angenehmer, obwohl es mir immer noch ein bisschen zu warm ist. Nächster Blick auf die Tankanzeige, ah schon wieder so weit um zu tanken. Was kommt da vorne? Bispingen, alles klar kurzer Formel 1 Boxenstop und weiter gehts. Kann es noch immer nicht glauben, dass ich kurz vor Dortmund bin. Dortmund kenne ich von einigen Besuchen und von dort aus ist es eigentlich ein Klacks bis nach Frankfurt und dann bin ich schon fast zu Hause. Habe bisher noch nicht einmal daran gedacht, zu scheitern, ganz im Gegenteil mit jedem Meter bin ich mehr davon überzeugt, als Sieger über die Zielgerade zu fahren. Der Verkehr hat jetzt doch etwas zugenommen, ich fahre aber trotzdem immer noch kontinuierlich meine 120 km/h.
Die Sonne steht am Horizont, das Thermometer zeigt 25°C und ich denke mir wie schön, es doch ist, so einen Tag so bewusst wahrzunehmen. Heute morgen der glutrote Sonnenaufgang bis hin zur Abendsonne, die meinen Weg begleitetet. Wie weit ist es eigentlich noch bis Dortmund? Ich habe keinen Plan, ist auch egal, der Weg ist das Ziel. Die Tankstopps, die ich am Navi schön sauber eingeplant hatte, waren umsonst. Hätte ich mir auch sparen können, es kam ohnehin alles anders. Am besten gar nicht so viele Gedanken machen und agieren, wenn es so weit ist. Überlegte mir eben, mit so wenig wie möglich Tankstopps über die Runden zu kommen. Macht aber keinen Sinn, wenn man die Route nachweisen will bzw. muss. Kann ja nicht in Stolpe tanken und dann das nächste Mal in Hessen und erwarten, dass einer glaubt, dass ich auch über Dortmund gefahren bin. Also muss dann doch ein Tankstop zumindest an den äußeren Zipfeln der Route gemacht werden.
Vor lauter träumen und über Tankstops nachzudenken habe ich doch tatsächlich das wild blinkende Zeichen auf dem Navi übersehen und ja, hier hätte ich abfahren sollen. Mist und jetzt? Das Navi schlägt eine andere Route vor und sagt in 21 Kilometer rechts ab. Na gut dann halt so, aber Moment mal, passt das dann von den Kilometer noch? Wo bin ich überhaupt? Halt stop rechts ab Richtung Dortmund, zwei mal im Kreis rum? Also ich würde sagen Dortmund ist in der anderen Richtung. Warum nur verlässt man sich blind auf diese kleinen elektrischen Helferlein und schaut nicht wenigstens mal grob in die Karte. Sofort fällt mir die Geschichte ein, als einer sein Auto im Hafenbecken versenkte, als er blind dem Navi folgte. Na ja, Wasser hat es hier zumindest keines, von dem her wird es schon passen. Nächster Tankstop Gütersloh, das liegt wieder auf der Route, also muss es wohl passen. Ein mal voll machen und weiter gehts Richtung Dortmund. Noch mal kurz das Handy aktiviert wie es mit dem Ladezustand aussieht. Akkuzustand 18 %??? Ich dreh am Rad, das kann doch nicht wahr sein. Das Ladekabel zeigte zwar an das es lädt, macht es aber in Wirklichkeit nicht. Warum hab ich nicht am Rastplatz geschaut, jetzt kann ich gleich wieder stoppen. Hmm, vielleicht hält es ja noch bis nach Hause - ne ausgeschlossen bei nur 18 %. Rastplatz Lichtendorf Nord, eigentlich reicht es nicht mehr zum raus fahren. Ach was das geht, in der Formel 1 machen die das laufend, das passt. Drei Spuren überquert, den Anker geworfen, alles bestens. Also gut das gleiche Spiel noch mal: USB Adapter im Regal suchen, das original Ladekabel einstecken, nicht dass es wieder meckert und ok es lädt. Wie lange, keine Ahnung also schnell weiter.
Die Sonne verschwindet langsam am Horizont, es wird auch gleich etwas kühler. Aber immer noch sehr warm für diese Jahreszeit und ich fühle mich sehr gut im Sattel. Langsam merke ich meinen rechten Arm, das Genick schmerzt etwas, kein Wunder wenn man jetzt fast 15 Stunden die Hand in der gleichen Stellung am Gas hat. Man beginnt dann zu experimentieren: Ist es wohl möglich den Griff ohne Einsatz des Daumens zu halten? Oder vielleicht wenn ich den Griff verkehrt herum anfasse? Den Versuch mit der linken Hand das Gas zu bedienen lasse ich dann doch lieber gleich wieder, da fährt das Motorrad genau in die andere Richtung, in die man eigentlich will. Man macht sich nämlich kaum Gedanken, aber in Wirklichkeit zieht man am linken Lenkerende, wenn man eine Rechtskurve fahren will und zieht an der rechten Seite bei einer Linkskurve. Das dann im Gehirn umzubauen, so dass die linke Hand plötzlich nicht ziehen, sondern drücken soll; nicht einfach und schon gar nicht sollte man das auf öffentlichen Straßen bei knapp 120 km/h ausprobieren. Wie sieht es eigentlich mit Müdigkeit aus, hm gar kein Problem, was mich selbst wundert. Die neue Sitzbank passt auch perfekt, ich glaube, ich fahre jetzt gleich weiter nach Italien oder Afrika oder noch weiter. Ok, erstmal Ball flach halten, das Ziel ist Tamm bei Stuttgart, alles andere sehen wir dann beim nächsten Mal.
Mir kommt es vor, als ob ich mit der Maschine verschmolzen bin, wir sind jetzt verbunden und ergänzen uns perfekt. Der Motor schnurrt immer noch und ich freue mich, dass ich so perfekt sitze. Alles ist am richtigen Ort und ich kann ganz entspannt immer weiter fahren. Kein Vergleich zu meiner letzten Maschine, die als sogenannter Streetfighter doch einiges an Komfort vermissen ließ. Es war schon ein gewagter Schritt von etwas Extremen zu so einem Reisemotorrad zu wechseln. Was hatte ich mir Gedanken gemacht und immer voller Neid die Berichte von Weltenbummlern durchgelesen. Ja, ich glaubte schon, das sind die richtigen Motorradfahrer, die an die entlegensten Orte der Welt fahren. Die sämtlichen Strapazen auf sich nehmen, um das tollste Hobby der Welt - das Motorradfahren - auszuüben. Ja, das ist bestimmt toll, einen Reisetourer vollzuladen und einfach fahren. Genau das wollte ich auch machen. Nicht lange überlegen, ob das polierte Teil beim ersten Regen anläuft oder die Felgen etwas dreckig werden. Einfach Koffer drauf und wo fahren wir hin? Ans Nordkapp, ok alles klar, lass uns losfahren. Da ich aber doch ein Vierzylinder Fan bin wollte ich das ultimative Tourenmotorad mit den drei Buchstaben nicht. Nein, das passt nicht zu mir, da fahren ja auch viel zu viele herum. An die Worte meines Fahrlehrers kann ich mich noch genau erinnern: Honda baut von allen Japanern das hochwertigste Fahrzeug und deshalb gibt es in meiner Fahrschule nur Honda. Das würde ja passen, denn mit der Honda Crosstourer, die letztes Jahr rauskam, hätte ich genau so etwas für die lange Reise. Heute bin ich froh, dass ich mich für die Honda entschieden habe, da es wirklich genau das ist, was ich will. Ich hab mich draufgesetzt und es hat gepasst, selbst das Automatikgetriebe konnte mich bis jetzt voll und ganz überzeugen. Klar, es gibt viele die sagen, so was brauche ich nicht, ich bin da aber wirklich sehr aufgeschlossen und freue mich, wenn ein Hersteller auch mal einen neuen Weg geht und was riskiert.
Wie gut das Motorrad tatsächlich zu mir passt merke ich gerade jetzt nach knapp über 1200 Kilometer im Sattel. Man, ich kann es gar nicht glauben, ich bin heute in einem Rutsch weiter gefahren, als jemals mit einem anderen Fahrzeug. Noch 400 Kilometer, kein Problem, locker. Wie oft muss ich noch tanken? Einmal noch, dann müsste ich es bis ins Ziel schaffen. Die Kilometer bis Frankfurt schmelzen unter den Rädern dahin, noch ein mal tanken. Nächster Rastplatz Hammersbach, das hört sich gut an, also rechts raus. Alles schön notieren im Logbuch, Tankmenge, Kilometer, Zeit - ok. Zeit, hm wie sieht es eigentlich aus? Na alles bestens, so viel Zeit, dass ich mich jetzt ein paar Stunden Ruhe gönnen könnte. Wie schlafen, ich bin hell wach und fiebere dem Ziel entgegen. Die ersten Gedanken schwirren durch den Kopf, vielleicht kannst du ja die 2000 km in unter 24 Stunden gleich voll machen? Na nun mal langsam, es ist immer dasselbe, man will immer mehr und mehr. Nein heute die 1600 Kilometer, das war und ist das Ziel. Man sollte dankbar sein, wenn man etwas erreicht hat und übrigens brauche ich ja für nächstes Jahr auch noch eine Herausforderung. Also noch einmal kurz das Handy gecheckt, jetzt sieht es schon besser aus, Ladezustand 80% perfekt.
Alles verstaut, also weiter gehts Richtung Heimat, Winterausstattung und Griffheizung brauche ich auch noch nicht. Die Vorfreude ist riesig, doch ich glaube der Tacho ist kaputt. Die letzten 150 Kilometer werden immer zäher und gefühlt laufen sie nur halb so schnell runter wie am Anfang. Man starrt auf den Tacho noch 149, noch 148... Es ist jetzt stockdunkel und ich bin wieder fast alleine auf der Straße unterwegs von Richtung Würzburg nach Heilbronn. Was, wenn jetzt plötzlich ein Wildschwein vor dir steht? Würde mich nicht wundern bei den vielen Bäumen hier rechts und links am Rand der Autobahn. Boxberg, da ist das Testgelände meiner Firma denke ich, als irgend etwas Flaches mit ziemlichem Geschwindigkeitsüberschuss an mir vorbeifliegt. Insgesamt fällt mir auf, dass gerade auf dieser Strecke wenig Autos fahren, die dafür aber mit erheblicher Geschwindigkeit unterwegs sind. Na hoffen wir mal, dass die mein Rücklicht auch rechtzeitig sehen. Vorsichtshalber fahre ich schon mal ganz am rechten Rand.
Heilbronn, Weinsberger Kreuz, ja hier kenne ich mich aus, jetzt brauche ich kein Navi mehr ,jetzt finde ich auf jeden Fall nach Hause. Noch einmal ein kurzer Blick auf den Tacho, reicht es mit den Kilometern? Ich denke ja, 70 werde ich drüber sein. Hm, vielleicht sollte ich doch weiter fahren, um ganz sicher zu sein, vielleicht bis München? Nein nicht wirklich, aber zumindest bis zur Ausfahrt Zuffenhausen. Also gut einmal hoch, im „Kleeblatt“ rum und wieder zurück bis Ludwigsburg Nord. Im Kleeblatt der Ausfahrt merke ich, dass der Reifen „eckig gefahren“ ist, kein Wunder musste er doch die letzten 1600 Kilometer "nur" geradeaus fahren.
Ausfahrt Ludwigsburg Nord, alles so vertraut, die nehme ich jeden Tag seit fast 29 Jahren, das geht alles blind. Noch 5 Kilometer, noch 2, ich kann das Licht der Tankstelle schon sehen. Ich biege in die Einfahrt und könnte schreien vor Glück, ja ich hab es geschafft, ich bin den Iron Butt gefahren. Ein Blick ins Fenster, mein Startzeuge ist auch wieder da. „Hi und was bist du jetzt gefahren?“ „Na so wie ich gesagt habe: Nürnberg, Berlin, Hamburg, Hannover, Dortmund, Frankfurt und wieder hier her. 1667 Kilometer in etwas über 18 Stunden.“ Er schlägt auf den Tisch und sagt „Wahnsinn, das hätte ich nicht geglaubt.“ Meine Frage, ob er mir das Protokoll unterschreibt, hat er natürlich sofort mit ja beantwortet und ich fand es echt lustig, als er mich dann noch fragte:“ Bekommst du das jetzt bezahlt?“ „Wie bezahlt, ne das muss ich alles selber bezahlen.“ „Warum machst du das dann?“ „Tja gute Frage, einfach so. Man muss eben auch mal etwas Verrücktes im Leben machen.“ Er lachte nur und meinte, ja das stimmt auch wieder.Die letzten 3,5 Kilometer bis nach Hause fuhr das Motorrad wie von selbst, ich war viel zu glücklich, um mich auf die Straße konzentrieren zu können. Ich hatte es wirklich geschafft, ich war jetzt ein „Eisenarsch“. Es war ein unbeschreibliches Gefühl und meine Gedanken planten schon den nächsten Ride. Als ich mein Motorrad in der Garage abstellte, hab ich es echt in den Arm genommen und danke gesagt. An der Haustüre wurde ich herzlich empfangen mit den Worten „Hallo Mr. Iron Butt, bin froh das du wieder gesund zu Hause bist, ich hab schon mal was zu Essen gemacht.“
Danke, jetzt hab ich doch etwas Hunger und ein Glas Bier hab ich mir auch verdient. Noch kurz ins Forum geschaut. Wow, da haben echt viele mitgefiebert und die Tour live verfolgt. Danke auch an euch für die tolle Unterstützung. Das Kopfkissen hatte meinen Kopf noch nicht einmal berührt, als ich zufrieden und glücklich eingeschlafen bin.Alles in allem war es eins der tollsten Dinge, die ich je gemacht habe. Ich musste das einfach für mich machen, um den Kopf frei zu bekommen und ja ich glaube so etwas macht einen zu einem besseren, ausgeglicheneren Menschen.
Ich möchte diese Fahrt meinen Eltern widmen, die leider viel zu früh gehen mussten. Sie waren auf jeden Fall dabei und haben auf mich aufgepasst. Danke!!Udo
Bissingen 24.10.2013 -
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#44 Hallo Udo,
Schön, dass Du uns an dem Wust an Fragezeichen teilhaben lässt, die da so durch den Kopf geschossen sind.
Und ja - der Vorteil der Lebenserfahrung den man im Laufe der Lebensjahren bekommt geht typischerweise mit dem Verlust an Unbekümmertheit einher - ohne das man eine echte Chance hat das auszublenden.
Schade, dass ich keine Zeit hatte Dich mal eben auf dem Rastplatz Lichtendorf Nord zu besuchen
Ach ja - zu dem Punkt das andere sagen "du bist verrückt"
Ich denke grundsätzlich gilt:
Tut's Deiner Seele gut, ist es sinnvoll!
In diesem Sinne weiterhin alles gute!Grüßlings,
Wolfgang -
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#46 Hallo Udo,
toller Bericht. Danke dafür.
Ein Freund von mir hat es vor ein paar Jahren auch mal versucht, allerdings mit seiner Harley. Er kam bis kurz vor Nürnberg, dann war die Maschine kaputt und er musste abbrechen (Antriebsritzel abgerissen).
Wir haben nur gefragt: warum hast du nichts gesagt, wir wären doch mitgefahren.
Bisher hat es nicht wieder geklappt, aber ein paar Herausforderungen muss man sich bewahren und eines Tages auch umsetzten. Der Eisenarsch gehört dazu ebenso wie eine Umrundung der Ostsee!
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#48 Hallo Udo,
hab den Bericht in der "Motorrad" vor einigen Jahren auch gelesen und bei mir gedacht:
Wow, das musst du auch mal machen.Hab das aber wieder im alltäglichen Durcheinander und Stress vergessen und verdrängt. Dein genialer Bericht hat mich jedoch wieder daran erinnert und ich hab mir den Trip schon jetzt fest für das nächste Jahr vorgenommen.
Viele Grüße aus Bayern,
Walter
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#49 Danke euch für die Unterstützung, ich kann es nur jedem empfehlen.
Vielleicht kann man ja mal einen gemeinsamen Ride durchführen. Die Autobahnpunkte setzt man dann so, das jeder wo mit will am nächsten Punkt dazustoßen kann.
Man wechselt dann durch, so das wenn einer anfängt, ein anderer vielleicht schon 1000 km hinter sich hat.
Es wäre dann ein rotierendes System, wo es garantiert nicht langweilig wird.
Wer weiß, vielleicht gehen wir dann in die Geschichte ein als die meisten SS 1600K hintereinander oder so -
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